Das Land NRW hat 2011 eine Schulreform mit dem Ziel durchgeführt, die Frage nach der Gestaltung der Schullandschaft zu ent-ideologisieren. Für die Gestaltung der örtlichen Schullandschaft sollten keine abstrakten theoretischen Erwägungen, sondern der Wunsch der Betroffenen maßgeblich sein.
Daher bietet das Land NRW den Städten und Gemeinden eine hohe Zahl verschiedener Schulformen an, die vor Ort betrieben werden können. Gesamtschulen besitzen in NRW in der Regel eine gymnasiale Oberstufe. Mit der Schulform der Sekundarschule steht seitdem eine nur die Sekundarstufe I umfassende Variante der Gesamtschule zur Verfügung. Keine der bisherigen Schulformen werden aufgegeben. Welche davon eine Gebietskörperschaft anbietet, entscheidet die kommunale Politik. Voraussetzung dafür ist jedoch eine für den geordneten Schulbetrieb erforderliche Anzahl von Schüler*innen. Veränderungen der örtlichen Schullandschaft erfolgen, indem Schulträger bestehende Schulen auslaufen lassen und neue Schulen gründen.
Andere Bundesländer verfahren in dieser Hinsicht anders. Schleswig-Holstein hat vor einem Jahrzehnt den Schulträgern die Abschaffung der Schulformen ‚Hauptschule‘ und ‚Realschule‘ verordnet. Per Landesrecht wurden die Schulträger verpflichtet, ihre existierenden Schulen des gegliederten Systems in Schulen neuer Schulformen umzuwandeln (die Schulform Gemeinschaftsschule hat sich dort inzwischen durchgesetzt). Die Reform ist allerdings inkonsequent umgesetzt, denn die Schulform Gymnasium (das ‚Flaggschiff‘ der Schulen des gegliederten Systems) blieben erhalten.
Das Land NRW überträgt die Verantwortung für die Gestaltung der regionalen Schullandschaft den Städten, Kreisen und Gemeinden. Maßgabe des kommunalpolitischen Handelns ist es, sich am Bevölkerungswillen zu orientieren und dabei ein möglichst vielfältiges, an den Bedürfnissen der Bürgerschaft orientiertes Bildungsangebot zu schaffen.
Die Gebietskörperschaften haben bei der Gestaltung große Freiheiten. Sie können im Hinblick auf die Sekundarstufe I sowohl das traditionelle System des gegliederten Schulwesens (Hauptschule/ Realschule/ Gymnasium) als auch das System des gemeinsamen Lernens mit oder ohne gymnasiale Oberstufe (Gesamtschule/ Sekundarschule) umsetzen. Neu und verpflichtend ist allerdings die Umsetzung der Menschenrechtskonvention auf Teilhabe (‚Inklusion‘): Alle Eltern im Land haben den Anspruch auf eine inklusives Lernangebot.
Dem breiten schulpolitischen Konsens gemäß wird also im Land NRW auf eine zentralistische Schulformdebatte verzichtet. Stattdessen wird die kommunale Selbstverantwortung gestärkt, die aus vielen Möglichkeiten der Gestaltung die lokal passendste Lösung zu wählen erlaubt. Die politische Zuständigkeit für die tatsächliche Ausgestaltung der Schullandschaft ist auf die Ebene der Kommunen dezentralisiert – das Land nimmt nur noch die Aufsichtsfunktion wahr.
Damit wächst der Kommunalpolitik eine neue, große Herausforderung zu: Mit der Gestaltungsfreiheit erhält sie zugleich die Verantwortung für die Realisierung. Die gesetzlichen Vorgaben, der partizipative Wille der Bewohnerschaft und das individuelle Handeln der Bürger*innen bei der Schulwahlentscheidung jenseits der für alle gemeinsamen Schulform Grundschule sind dabei vor Ort in ein Gleichgewicht zu bringen. Städte und Gemeinden betreiben auf eigene Verantwortung ein System von Schulen, die in ihrer Gesamtheit (im Zusammenwirken) den örtlichen Bedarf decken sollen.
Kommunale Schulträger haben die Aufgabe, ein im Wesentlichen top-down vorgegebenes und sich aus der demographischen Entwicklung abzuleitendes Netz von Schulen räumlich und sachlich zu unterhalten. Kommunale Schulträger haben dafür zu sorgen, dass die Schullandschaft zu den örtlichen Bedarfen passt, sie zu entwickeln und zu gestalten und dabei die partizipative Beteiligung der Bürgerschaft sicher zu stellen. Mit einem Schulentwicklungsplan besitzen Kommunen ein wesentliches Mittel der politischen Gestaltung der örtlichen Schullandschaft. Kommunen bedürfen also ‚lauffähiger‘ Schulentwicklungspläne – in denen die demographischen Strukturen des zu versorgenden Gebietes an den Schulentwicklungsplan stets angepasst werden muss.
Aber selbst in Kommunen mit gut der Bevölkerungsstruktur angepassten Schulentwicklungsplänen kann das Wahlverhalten der Erziehungsberechtigten nicht der kommunalen Planung entsprechen. In diesem Fall ist es die Aufgabe der Schulträger, Ursachen für die nicht den Planungen entsprechenden Schülerwanderungen zu erforschen und Maßnahmen zur Lösung der Probleme zu ergreifen. Das bedeutet: Sie nehmen Einfluss auf die Schulen in ihrer Trägerschaft, so zu agieren, dass sich das erwartete Wahlverhalten der Eltern einstellt. Dazu sind die Schulträger berechtigt und verpflichtet, auf die innere Arbeitsweise der von ihnen betriebenen Schulen Einfluss zu nehmen.
In den klassischen Feldern der Kommunalpolitik ist es unstrittig, dass Städte und Gemeinden funktionale Regelungen für die örtlichen Herausforderungen finden und für die Umsetzung von ‚guten Lösungen‘ durch die Beteiligten sorgen. Im Bildungsbereich ist diese Herausforderungen in NRW neu und damit ungewohnt. Der „Schulfrieden in NRW“ stellt einen echter Paradigmenwechsel, weil gemäß traditioneller Sichtweise auf die innere Arbeitsweise von Schulen, – die der Beurteilung durch die Elternschaft unterliegen und maßgeblich für deren Attraktivität vor Ort sind –, nicht der Schulträger, sondern die Schulaufsicht zuständig ist. (Vgl. dazu Darf der Schulträger Einfluss auf die Entwicklung der Qualität des Bildungsangebots seiner Schulen nehmen?)
Nach Eindruck der ArGe Bildung beginnen vielerorts die politisch Verantwortlichen in den Kommunen recht zögerlich mit der Annahme dieser Herausforderung. Die Herausforderung zwingt dazu, das regionale Bildungssystem zu betreiben und für ihr ‚gutes Funktionieren‘ zu sorgen. Kommunale Schulträger benötigen bei der Gestaltung der Schnittstelle zwischen dem kommunalen Schulentwicklungsplanung und der pädagogischen Praxis der einzelnen Schulen Unterstützung. Die Umsetzung eines in sich stimmigen Plans der Schulentwickung ist eine Aufgabe, bei der die einzelnen Schulen vor Ort systemisch zusammenwirken müssen.
Wesentlich ist die Abstimmung der Bereiche ‚Struktur der örtlichen Schullandschaft <-> baulich-sächliche Ausstattung der beteiligten Schulen <-> pädagogische Qualität der Arbeit der beteiligten Schulen‘ damit die Zusammenarbeit aller gelingt. Daher arbeiten in der ArGe Bildung Einrichtungen mit Kernkompetenzen in einem der drei Bereiche in projektbezogener Kooperation zusammen. (Vgl Hinweise zur Zusammenarbeit der Einrichtungen der ArGe bei gemeinsamer Projektearbeit ) Die Zusammenführung der Kompetenzen ist die Grundlage für eine erfolgreiche Unterstützung der einzelnen Kommunen beim Umgang mit der zentralen Problematik. Sie führt zu Lösungen, die aus der singulären Perspektive auf die einzelnen Teilbereiche nicht erkennbar sind.